Die vergangenen zwei Wochen lieferten eine Vielzahl an Berichterstattungen über die Afrika-Reise von Merkel und Müller sowie den China-Afrika-Gipfel in Peking.
Selten stand der afrikanische Kontinent derart im Fokus unterschiedlicher Einschätzungen. Während Merkel und Müller ihre entwicklungspolitischen Ambitionen eher wie einen Wohlfühlfaktor für die aufgeregten Bundesbürger propagierten, wurde in Peking Business gesprochen. Da stehen Migrationsverhinderung gegen große Infrastrukturprojekte, Helfersyndrom gegen Profitorientierung, Bedingungen gegen Freizügigkeit, 1 Milliarde gegen 60 Milliarden, usw. Kontrastierender könnten die unterschiedlichen Ansätze nicht sein.
Gerne möchte ich Ihnen eine Auswahl an Artikeln vorstellen, die zu einer differenzierteren Betrachtung der entwicklungspolitischen Ausrichtung beider Länder in Bezug auf afrikanische Staaten beitragen könnten.
Beginnen möchte ich mit einer zusammenfassenden Darstellung, die laut Spiegel-Korrespondent und Autor Bartholomäus Grill zu den derzeit besten Analysen im entwicklungspolitischen Kontext gehört. Die Autoren Kappel, Bonschab und Reisen geben eine exakte wie umfassende Abhandlung über Chinas Aufstieg und Deutschlands Positionierung – „Weltneuvermessung“.
Präzise arbeiten sie heraus, welche Triebfedern am Werk sind. Der vereinfachte Unterschied: China hat einen strategischen Plan, Deutschland hat zwar viele Afrikapläne aber noch nicht wirklich eine Strategie, zielen doch die Maßnahmen derzeit darauf ab, die europäische Grenze nach Afrika zu verschieben.
„Eine Afrika-Kooperation von Gleichberechtigten müsste jedoch anders aussehen. Sie müsste raus aus dem Fluchtursachen- und dem Samaritermodus. Deutschlands Afrikaaktivitäten bedürfen dringend eines Mentalitätswandels“
Ein Mentalitätswandel, der präzise Ziele und Maßnahmen definiert; ein Mentalitätswandel, der den Mut zur Umsetzung hat; ein Mentalitätswandel von paternalistischem Helfergebahren zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Kappel belässt es nicht bei der Kritik, sondern gibt dezidierte Vorschläge zu einer Neuausrichtung. Besonders das Kapitel zur Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft ist m. E. sehr fundiert. Ich kann Sie nur dringend bitten diese wertvolle Abhandlung zu lesen.
Passend zu diesem oben genannten Beitrag möchte ich Ihnen den nachstehenden Kommentar von David Signer in der NZZ empfehlen „Entwicklungshilfe ist ein Auslaufmodell“. Signer nennt den Konflikt beim Namen: es ist derzeit schwer sich politisch korrekt über Afrika zu äußern. In einer polemisierten Debatte wird schon eine faktische Darstellung zur Gratwanderung.
„In Wirklichkeit ist es ziemlich einfach: In mindestens der Hälfte der Staaten herrschen Kriege, extreme Armut oder machen Rebellen beziehungsweise Terroristen das Land unsicher. Oder sie leiden an Staatschefs, die inkompetent, gleichgültig, wenn nicht sogar korrupt sind und denen es nicht gelingt, die Volkswirtschaft zu diversifizieren oder auch nur minimal zu industrialisieren. Auf mehrere Länder treffen alle Bedingungen gleichzeitig zu. Die Investitionshemmnisse sind oft politischer Natur und haben nichts mit einem angeblich schlechten Image Afrikas und Vorurteilen zu tun. Viele Investoren sind durchaus risikofreudig, aber es gibt Grenzen. Afrika wird «armregiert». Hinzu kommt das starke Bevölkerungswachstum, welches das wirtschaftliche Wachstum oft wieder wegfrisst. Aber auch dieses Thema ist ein Minenfeld der politischen Korrektheit.“
Signer fährt ehrlich fort mit ebenso heiklen Themen auf der Geberseite, z. B. mit der absurden Annahme „mehr“ sei automatisch „besser“. Ein Artikel der sich zu lesen lohnt.
Einen weiteren sehr lesenswerten Artikel auf Spiegel.de möchte ich Ihnen nahelegen. „Was hinter Chinas Milliardeninvestitionen in Afrika steckt“ – China feiert Afrika und umgekehrt: Peking krönt dies mit Milliardeninvestitionen. Dahinter verbirgt sich kein chinesischer Kolonialismus, sondern ein gemeinsames Wachstumsinteresse. Eine Gefahr für den Westen“, von Georg Blume. Blume informiert umfassend und faktisch über die unterschiedlichen Sichtweisen auf den afrikanischen Kontinent
„Der Blick aus China und dem Westen auf Afrika ist dennoch ein ganz anderer. China sieht Afrika vor allem positiv: nämlich als boomenden Konsumentenmarkt. Europa und die USA sehen Afrika dagegen eher negativ: als Quelle eines unendlichen Flüchtlingsstroms in den Westen.“
Und beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung.
„Die Chinesen hätten recht, weil Afrikas wachsende Mittelschicht einen fantastischen neuen Markt für die chinesische Massenproduktion darstelle. Und die Europäer haben Grund, einen Kontinent mit 2,5 Milliarden vornehmlich jungen Einwohnern im Jahr 2050 zu fürchten, wenn es nur noch 450 Millionen zumeist ältere Europäer geben wird. Dadurch werde der Migrationsdruck von Afrika nach Europa über die nächsten zwei Generationen erheblich zunehmen“, sagt der von Blume zitierte amerikanische Afrikanist Smith.
Lesen Sie gerne nach.
Und nun ein starkes Plädoyer für ein optimistisches Afrika! Jan Grossarth von der FAZ.net betitelt seinen lesenswerten Artikel „Was wir von Afrika lernen können“.
Er meint „Afrika hat mehr verdient, als eine Projektionsfläche für die Untergangsängste des alternden europäischen Bürgertums zu sein. Schon heute kann es uns die größere Hoffnung lehren.“ M. E. irgendwie zu schön gefärbt, aber ein solches Statement tut bei all der Kritik, bei all den desolaten Zuständen gut. Grossarth ermuntert jedenfalls zu einer anderen, mutigen Betrachtung.
Nehmen wir uns aber nochmal die zum Schimpfwort mutierte Migration vor. Benjamin Fox von euractiv übermittelt einen exzellenten Beitrag zu diesem Aspekt „EU-Afrika-Beziehungen: Damoklesschwert Migration“. Aus europäischer Sicht, aber auch aus afrikanischer Sicht betrachtet. Anlass sind die Gespräche über ein Nachfolgeabkommen für das Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000, das die Beziehungen der EU mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums regelt. Waren bislang darin vornehmlich Wirtschafts- und Handelsabkommen geregelt, soll nun das Thema Migration prioritär vertraglich geregelt werden.
„Aus Sicht der Europäer muss der Migration in den Beziehungen zu afrikanischen Staaten Top-Priorität eingeräumt werden. Die EU hat dementsprechend bereits ihre Absicht bekundet, der Migrationskontrolle im Cotonou-Nachfolgepakt Vorrang einzuräumen. Afrikanische Länder, die mehr für die Kontrolle ihrer Grenzen tun, könnten dann auf mehr künftige Entwicklungsgelder und Investitionen hoffen.“
Der Konflikt ist vorprogrammiert.
„Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs haben die Schaffung eines neuen Gremiums angekündigt, das zur gemeinsamen Koordinierung der nationalen Migrationspolitik beitragen soll. Sie lehnen aber die Pläne der EU ab, auf afrikanischem Boden „Ausschiffungszentren“ für Migranten einzurichten.“
Lesen Sie selbst.
Zum Schluss noch ein empfehlenswerter Beitrag mit Fokus Landwirtschaft.
Philip Plickert, Wirtschaftsredakteur der FAZ, meint „Modernisierung des Agrarwesens – In Afrika müsste niemand hungern“. Plickert führt aus, dass die riesigen ungenutzten Flächen großes Potential hätten, jedoch nur mickrige Erträge aufweisen. Im Vergleich zu den Ländern des Globalen Südens mit durchschnittlich 4 Tonnen pro Hektar eben nur knapp 1 Tonne Ertrag pro Hektar.
„Schon heute leiden weite Teile Afrikas unter einer gefährlichen Erosion und Degradierung der Böden. Die eher grobkörnige Erde ist durch Überbeanspruchung schnell ausgelaugt, Regen wäscht die Nährstoffe aus, der Wind bläst die dünne Humusschicht davon. Mehr als ein Viertel der Landfläche Subsahara-Afrikas, gar zwei Drittel der Ackerböden, sind ernsthaft gefährdet. Fast 200 Millionen Menschen sind davon betroffen. Erschwerend kommt der Klimawandel hinzu. Häufigere Trockenheit und Dürre bringt Ernteausfälle, denn Bewässerungssysteme sind rar. Was Afrika bislang kaum erfasst hat, ist die sogenannte ‚Grüne Revolution'“.
Plickert verweist auf die Aussagen von Experte Klingholz vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, der der Modernisierung der Landwirtschaft eine Schlüsselposition einräumt. Plickert belässt es nicht bei dieser Forderung, sondern liefert eine umfassende Recherche möglicher Maßnahmen. Es gäbe was zu tun. Lassen Sie mich schließen mit der zitierten Aussage von Sabine Sütterlin vom Berlin Institut:
„Es gibt nicht eine große Lösung für alle Probleme der afrikanischen Landwirtschaft, aber sehr viele Ideen und innovative Konzepte“.