Der EU-AU-Gipfel, der am 29. und 30. November in Abidjan, Elfenbeinküste, stattfand, hat eine wahre Medienwelle nach sich gezogen. Darunter ein paar sehr lesenswerte und differenzierte Berichte.
Schwierig, zwischen den Anklagen einer gescheiterten Entwicklungshilfe, dem Postulat neuer partnerschaftlicher Beziehungen zwischen EU und Afrikanischer Union, den Schuldzuweisungen einer verfehlten Handelspolitik, der Propaganda privatwirtschaftlicher Investitionen etc., zu einer differenzierten Zusammenfassung des Gipfels zu gelangen. Viele Berichte schossen sich auf ein Thema ein, viele Artikel schienen die Lösung gefunden zu haben. Vielleicht sollten wir allesamt konstatieren, dass die Beziehung beider Kontinente viel zu komplex ist, um mit einer simplen Lösungs-Doktrin aufzuwarten. Ob es die Migrationswelle und die nun vehemente Fluchtursachenbekämpfung brauchte, um der Vielschichtigkeit der Beziehung beider Kontinente endlich die nötige Aufmerksamkeit einzuräumen? Ich habe jedenfalls aus der Flut an Artikeln und Meinungen versucht, die differenzierteren Berichte herauszufiltern.
Wenn es einen Artikel gibt, den ich besonders herausstellen möchte, dann diesen: Ein bemerkenswertes und unbedingt lesenswertes Resümee von Marc Engelhardt im Deutschlandfunk mit der Überschrift EU-Afrika-Gipfel: „Misstrauen statt Augenhöhe“. Ich zitiere nur die letzten Passagen, sie sollen ermuntern, diesen umfassenden und sehr aufschlussreichen Artikel unbedingt zu lesen. „Wenn die EU es ernst meint mit der Investition in Afrikas Zukunft, dann sollte sie umsteuern und etwa darauf bestehen, mit der Zivilgesellschaft zu sprechen. In Abidjan beendete die Polizei vorzeitig einen friedlichen Bürgergipfel. Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft, die auf dem Gipfel reden sollten, kamen nicht zu Wort. Wären sie es, dann hätten beide, Afrikas und Europas Regierungschefs, knallharte Kritik an ihrer Politik auf Augenhöhe zwischen den Eliten zu hören bekommen.Sie hätten gehört, was die Jugend in Afrika wirklich will: eine Zukunft in Freiheit und einem hart erarbeiteten Wohlstand, der erst möglich wird, wenn Europa Afrika die nötige Entwicklung zugesteht. Dazu gehören Einwanderungsquoten ebenso wie eine wirklich faire Handelspolitik. Diese Forderungen ernst zu nehmen, das wäre Partnerschaft auf Augenhöhe und eine echte Investition in Afrikas Jugend.“
Und wenn Sie verständlicherweise nicht mehr Zeit haben, reicht oben genannter Artikel und ein Radio-Interview welches SWR Aktuell mit Friedrich Keller-Bauer, dem Gründer der Stiftung Sabab Lou geführt hat:
Wenn Sie aber das doch sehr umfangreiche Stimmungs- und Meinungsbild interessiert, dann mögen Sie gerne weiterlesen.
Zunächst mal ein kurzes bilanzierendes Echo der der Deutschen Welle: „Der Gipfel der leeren Worte“, betitelt Frau Barbara Wesel ihren lesenswerten Kommentar. Kurz und sachlich addiert Frau Wesel die hohen Erwartungen und die jähen Enttäuschungen. Aber waren die nicht zu erwarten? Stattdessen, so kritisiert sie, fand ein flächendeckendes EU-bashing einiger Organisationen statt. Einer Lösung vieler Probleme durch willige Geberländer hat es auf dieser Gipfel-Showveranstaltung, wie Frau Wesel es ausdrückt, jedenfalls nicht gegeben. Ernüchternd, aber wahr.
Ein empfehlenswerter Beitrag kam in der Freytags-Kolumne der WirtschaftsWoche. Andreas Freytag, Professor für Wirtschaftspolitik, fragt „Ist die EU schuld an der afrikanischen Misere?“ Herr Freytag resümiert, dass die Abschlusserklärung in Bezug auf demokratische und transparente Prozesse abgeschwächt wurde. Obwohl der Aspekt der Regierungsführung entscheidend ist für den Erfolg eines Landes. Ob autokratisches Regime hin oder her, man will ja jetzt mit großzügigen privaten Investitionen dringend ein Wirtschaftswunder herbeiführen. Oder sollte ich sagen: erzwingen?
Sein Fazit: Wer ein langfristig prosperierendes Afrika will, muss sich für Intensivierung des Außenhandels und der Investitionstätigkeit, den Abbau der gröbsten und unfairsten Handelshemmnisse und institutionelle Reformen einsetzen.
Der Gipfel bot dazu eine Chance. Sein Ergebnis ist ein Schritt in die richtige Richtung. Mehr aber auch nicht.
Das Meinungsportal SÜDWIND wartet auf mit einer Aufforderung: EU-Afrika-Gipfel – Perspektive wechseln, alte Muster überwinden und neue Chancen nutzen! Ein sehr empfehlenswerter Artikel, wie ich finde. Das zentrale Thema des Gipfels, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, bietet genug Stoff um über mindestens zwei Grundsatzfragen nachzudenken: Handel und Investitionen, meint Südwind. Dazu Dr. Pedro Morazán, Handelsexperte bei Südwind: „Es kann nicht darum gehen, den Schaden, den andere Politikbereiche wie Handels- oder Agrarpolitik in Afrika anrichten, durch Kompensationszahlungen in Form von mehr Entwicklungshilfe zu mildern. Wenn die Regierungschefs das Ziel der Zukunftschancen für die Jugend in Afrika ernst nehmen, braucht Afrika jetzt vor allem eine strategische Partnerschaft, die die eigene Industrialisierung und die dynamischen kleinen und mittleren Unternehmen in der Region fördert. Sie sind es, die das größte Potential zur Schaffung von Arbeitsplätzen haben.“ Lesen Sie selbst. Hinweisen möchte ich noch explizit auf das zum Gipfel erschienene Fact Sheet „Perspektive wechseln! EU-Handels- und Investitionspolitik und die SDG in Afrika“, siehe Link zu Ende des Artikels.
Der Standard hat meiner Meinung nach einen unbedingt lesenswerten Artikel herausgebracht. Gunther Neumann, Vizepräsident des Kelman Institute for Interactive Conflict Transformation, und Journalist im Auftrag von EU, UNO und Rotem Kreuz, referiert über „EU und Afrika: Migration und überholte Konzepte“. Nach zwei Billionen Dollar an Entwicklungsgeldern stehe Afrika schlechter da als zu Beginn der Almosenindustrie, zitiert Herr Neumann kritische Stimmen bekannter afrikanischer Ökonomen. Die aufgeklärtere Version europäischer Bringschuld lautet demnach, dass es weniger um Transferzahlungen geht als um faire Handelsbedingungen. Herr Neumann nimmt auch die Konsumenten in die Pflicht: EU-Geldzahlungen an dubiose Partner, um uns Afrikaner vom Leib zu halten, sind kaum nachhaltig. Nicht nur globale Warenströme, auch universelle Werte müssen die Modernisierung prägen. Europas Konsumenten und die Zivilgesellschaft sind ebenso gefordert. Ethik und entsprechende Politik haben nicht ausgedient. Das möchte ich unterstreichen.
Ein beherzter Artikel der Redakteurin Andrea Dernbach im Tagesspiegel legt es unverhohlen dar: Europa verschärft Probleme, statt sie zu lösen. Diesen sehr lesenswerten Artikel möchte ich gar nicht erst zusammenfassen, sondern, ob ihrer Deutlichkeit, kurze Passagen zitieren: „Die Agenda der EU schafft oder verschärft erst die Probleme, die sie vorgibt zu lösen: Wenn die Flut europäischer Waren und Lebensmittel lokale Märkte zerstört, das Meer vor Westafrika leergefischt wird, Wohlstandsgiftmüll die Böden verseucht und Europa Rohstoffe importiert, statt lokaler Verarbeitung Chancen zu geben, dann sind „job opportunities“, die die offiziellen Gipfeltexte so gern verheißen, Tropfen auf heiße Steine. Bestenfalls.“ Und: „Dass die Euro-Summen vor allem dahin fließen, wo nicht die Entwicklungs-, sondern die EU-Grenzpolitik die größten Chancen sieht, dokumentiert die kürzlich preisgekrönte Website der „taz“, migration-control.de
Und, wenn Sie mögen, lesen Sie doch noch das Interview mit Franziska Brantner im Deutschlandfunk „Unsere Handelspolitik ist wirklich unfair“. In dem Interview betont Grünen-Politikerin Brantner kritisch, dass es auf diesem Gipfel hauptsächlich um Fluchtbekämpfung geht, und nicht um Fluchtursachen-Bekämpfung. Eine Aussage von Frau Brantner, die uns in unseren Projekten existentiell betrifft, möchte ich zitieren: „Europa produziert durch seine Handelspolitik, Agrarpolitik, unsere Rüstungsexporte oder die Unterstützung von korrupten Diktatoren selber Flüchtlinge. Wir sind selber mitverantwortlich dafür, wenn Lebensgrundlagen in Afrika zerstört werden für Kleinbauern.“ Frau Brantner, ebenso wie Herr Neumann (Der Standard) macht deutlich, dass auch unsere Lebensweise Konsequenzen in Afrika hat. Prüfen wir uns!
Tja, und dies waren der Artikel noch lange nicht alle …
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