Wissensdurst

Unser landwirtschaftliches Ausbildungsprojekt in Gambia gerät in die Pandemie – und verwandelt sie in eine Chance.

Sie kamen, um zu lernen. Sie wollten es anders machen als von Familie und Verwandtschaft praktiziert. Sie wollten sich nicht mit dem kärglichen Einkommen aus einer Subsistenzlandwirtschaft begnügen. Dennoch ist die Landwirtschaft für viele junge Gambier die einzige berufliche Zukunftsperspektive, wollen sie sich nicht in der Tourismusindustrie verdingen.

Gemeinsam mit Momodou Bah, Projektleiter des Jugendausbildungsprojekts in Ballingho, Gambia, haben wir eine zweijährige duale Ausbildung konzipiert und eigens umfangreiche Ausbildungsmaterialien für die vielfältigen Bereiche in der Landwirtschaft gestaltet. Eine explizit unternehmerische Komponente weckte große Begeisterung – endlich ein Weg zu profitablem landwirtschaftlichem Unternehmertum. Die lebhafte interaktive Unterrichtsform war hoch motivierend.

Foto: Sarah Keßler/Sabab Lou

Die Pandemie erreicht den afrikanischen Kontinent

Dann erreichte die Pandemie auch Gambia, am 16. März mussten alle Lehrbetriebe schließen. Wir hatten Glück, waren wir doch gleichzeitig ein systemrelevanter Produzent von Nahrungsmitteln. Die Ausbildungsverträge der ersten 40 Jugendlichen im Camp wurden in Arbeitsverträge umgewandelt. Fortan fand der Unterricht inoffiziell, sozusagen im Gemüsebeet statt.

Es ersetzte aber nicht vollends den motivierenden interaktiven Unterricht, Frustration machte sich breit. Die Beteuerungen der sicher baldigen Wiederaufnahme griffen nicht mehr, drei Jugendliche sprangen ab.

Nun, ein halbes Jahr später, können wir wieder Unterricht im Klassenzimmer abhalten und versuchen, mit doppelten Theoriestunden das versäumte Pensum nachzuholen. Endlich wieder Nahrung für den Kopf! Eine zweite Gruppe von 40 Auszubildenden kann ebenfalls nun mit zweimonatiger Verspätung beginnen.

Foto: Sarah Keßler/Sabab Lou

Störung als Chance

Es braucht etwas Mut die Pandemie als Chance zu sehen, aber bildet die Pandemie nicht genau unseren unternehmerischen Ansatz ab? Hatten wir nicht Resilienz in Zeiten volatiler Marktwirtschaft unterrichtet? Wir greifen deshalb genau dieses Thema auf, um auch im späteren Beruf über Störungen und Schwierigkeiten hinauszuwachsen. Genau diese Herausforderung sehen wir als Chance.

Aber solch manifeste Störungen zehren dennoch. Nicht genug, dass europäische Agrargüter den gambischen Binnenmarkt fluten und den Erwerbsspielraum für Bauern drastisch reduzieren. Nicht genug, dass es mangels produzierenden Gewerbes kaum Berufschancen für die rund  150.000 arbeitslosen gambischen Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren gibt. Nicht genug, dass es kaum adäquate Ausbildung im landwirtschaftlichen Sektor gibt, dann kommt die Pandemie noch hinzu, die das kleine westafrikanische Land, welches in hohem Maße vom Tourismus lebt, in eine existentielle Krise stürzt. Im weltweiten Index der nationalen Wirtschaftsleistung liegt Gambia abgeschlagen auf Rang 175 von 193 Plätzen.

Auswirkungen auf die Projektarbeit

Obwohl wir glücklicherweise unseren Lehrbetrieb nicht schließen mussten, bekam unsere gambische NGO den wirtschaftlichen Abschwung deutlich zu spüren. Die verwaiste Hotellerie nahm unsere Gemüse und Eier nicht mehr ab, wir konnten mit einem lokal angepassten Sortiment nur noch die lokalen Märkte bedienen. Ausgebremst.

Wir mussten Ergebnisprognose anpassen, Investitionen verschieben, zugleich aber den Jugendlichen nicht die Hoffnung nehmen, im landwirtschaftlichen Sektor Profite zu machen. Schwierig, wenn die Auszubildenden sehen wie hart das Projekt mit den wirtschaftlichen Einbußen zu kämpfen hat.

Wir begegnen dem Marktrückgang zwar mit weiterer Diversifizierung: Bienenzucht, Aquakultur, Nahrungsmittelverarbeitung, etc., aber mangels Einnahmen kann unsere gambische NGO die operativen Kosten nicht, wie vorgesehen, alleine stemmen.

Foto: Sarah Keßler/Sabab Lou

Globale Auswirkungen

In den Ländern des globalen Südens werden Armut und Hunger schwerer gewichtet als die gesundheitlichen Schäden. Auf dem afrikanischen Kontinent ist die Bevölkerung jung – und scheinbar resistenter. Auch hat die Erfahrung der Ebola-Epidemie beherzte Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 befördert. Die wirtschaftlichen Schäden sind jedoch immens für Länder, die ohnehin zu den Ärmsten gehören.

Der globale Norden scheint indes in seiner Selbstzentriertheit in der Pandemie keine Verantwortung für Entwicklungsländer zu sehen. Corona-Hilfen und Schuldenerlasse verschleiern nur, dass weltweit die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit zusammengeschmolzen werden. Reagieren wir erst wieder, wenn der Migrationsdruck unseren Wohlstand bedroht?

Unser Impfstoff: Wissen

Die Jugendlichen in unserem Ausbildungsprojekt in Gambia machen es vor – sie büffeln, mit halbjähriger Verspätung, für den ´Wissensnachweis´ des ersten Semesters ihrer Ausbildung. Das zweite Semester folgt in verdoppeltem Tempo. Im September 2021 wollen sie als umfassend ausgebildete Landwirte ihre Prüfung ablegen und ihre berufliche Zukunft gestalten.

Dafür schalten wir von analog auf digital um. Viele Freiwillige, vornehmlich Mitarbeiter der Lufthansa Group, hatten die unternehmerischen Module gestaltet und unterrichtet – ein wichtiger Bestandteil eines den Bedürfnissen des Landes angepassten Ausbildungskonzepts.

Auszug aus dem Modul „Market Analysis“/Sabab Lou

Die Entwicklung digitaler Module fordert dabei noch mal mehr, nämlich Einfühlungsvermögen, Kreativität und bis ins Detail ausgestaltete Unterrichtseinheiten, um die Fortführung der betriebswirtschaftlichen Wissensvermittlung zu gewährleisten. Analog kann man improvisieren, digital muss es perfekt sein. Mit Arbeitsblättern, Video-Einspielungen, Instruktionen für die Lehrer, etc. schaffen die Freiwilligen einen weiterhin interaktiven Unterricht. Die Begeisterung und der Wissensdurst der Jugendlichen ist die größte Motivation für die Helfer.

Motivation auch für die Entwicklung eines Mentoren-Programms „Business Coaching“, welches die ersten Schritte der Jugendlichen ins Berufsleben begleitet. Mehr dazu unter www.sabab-lou.de/projekte/gambian-youth-project/

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