Wie viel Hilfe ist zu viel?

Die Diskussion darüber, ob die Seenotrettung von fliehenden Menschen auf dem Mittelmeer Emigration und Menschenhandel sogar unterstützen würde, beschäftigt mich. Warum sollte es ein Fehler sein, Menschen zu helfen? 

Auf Lebensbedrohung mit Hilfe zu reagieren, ist für viele von uns eine selbstverständliche Reaktion. Aber wie viel Hilfe ist zu viel? Können Schlepper tatsächlich mehr Passagiere gewinnen, mit der Versicherung, dass sie von Rettungsbooten eingesammelt werden? Eine erschreckende, aber durchaus plausible Annahme.

Wie viel Hilfe ist zu viel? Diese Frage stellen wir uns auch immer wieder in unseren Projekten. Wir leisten Entwicklungsarbeit. Wir wollen „zusammen Arbeit schaffen“. Unser Anspruch: fördern und fordern. Warum nicht einfach geben? Wir leben in vergleichsweise großem Wohlstand.

Lassen Sie mich meine Überlegungen, Zweifel und Fragen an einem Beispiel erläutern.

Beispiel Gambia

Nach jahrelanger, gemeinsamer Anstrengung haben wir in unserem gambischen Baddibu-Projekt ein stabiles System zur Einkommenssicherung aufgebaut. Vier große Solarpumpanlagen versorgen insgesamt fünf Dörfer mit Wasser, rund um das Jahr. Die Verantwortung für das Projekt und die Rücklagenbildung wurde in die Hände der Dorfbewohner gelegt. So weit so gut.

Dann entstanden vor ein paar Monaten neue Geschäftsbeziehungen mit zwei großen Hotels an der Küstenregion, die ganzjährig Gemüse aus den Dörfern beziehen wollen. Die Ankündigung ließ die Hoffnungen und Erwartungen auf finanzielle Autonomie höher schlagen. Die Frauen und Jugendlichen begannen ihre Beete für die Regenzeit vorzubereiten. Ein durchaus mutiges Unterfangen, denn traditionell ruht der Gemüseanbau in der Regenzeit. Aber sie wollten liefern. Und wir haben das unterstützt. Mit dem besten Saatgut, verbesserten Anzuchtmethoden, Kompostierung und einem sinnvoll geplantem Fruchtwechsel, sind sie mutig in das Projekt gestartet.

Dann kam der Regen. Zuviel Regen. Die stärksten Regenfälle seit vielen Jahren schlugen mit einer solchen Wucht auf, dass sie die Tomatensetzlinge und Zwiebelsaat einfach wegspülten. All die harte Arbeit war umsonst. Und der Traum vom ersehnten Einkommen – zerstört. Was tun?

Die Verlockung ist groß, einfach zu helfen

Nur nicht aufgeben, Zeit aufholen, irgendwoher teure Setzlinge erwerben, Erfolg beweisen, das war unsere erste Reaktion. Dafür reichen die Rücklagen der Dorfbewohner nicht aus. Dann müssen wir eben als Stiftung finanziell einspringen, damit die Frauen das Gemüse rechtzeitig an die Hotels liefern können, bevor ihr Interesse wieder schwindet – das war unsere zweite Reaktion.

Aber befördern wir mit weiterer Hilfe nicht die Selbstverständlichkeit des Handaufhaltens?

Die Verantwortung von Hilfe

Wir haben und geben, ist die Aussage. Die lassen uns nicht im Stich, ist die anrührende Dankbarkeit. Und beim nächsten Missgeschick, der nächsten Katastrophe? Unterbindet unsere Verlässlichkeit womöglich die so wichtigen Selbstheilungskräfte? Verstehen die Menschen, dass die Hilfe nicht fortwährend ist?

Wir haben eine Verantwortung für unser Tun über Hilfe hinaus. Wir müssen weiterdenken, über die mildtätige Botschaft hinaus. Was bewirken wir? Welche Erwartungshaltung bauen wir auf? Schaffen wir nur lähmende Abhängigkeiten? Unterbinden wir eigene Lösungen?
Immer wieder denke ich an die sambische Ökonomin Dambisa Moyo: „Hört auf mit eurer ständigen Hilfe!“ Aber wie viel Armut müssen wir mitansehen, bis eigenständiger Fortschritt erreicht ist? Sind die Ideen nicht bereits da, nur die Mittel fehlen?

Wie würden Sie entscheiden?

In ihrer Kolumne „Seitenblick“ blickt Edith Lanfer über den Tellerrand der eigenen Projektarbeit hinaus und setzt sich kritisch mit verschiedenen Themen der Entwicklungszusammenarbeit auseinander. 

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