Reisebericht Ghana/März 2014

Reise zu unseren ghanaischen Projekten

Von Gambia geht es für uns postwendend weiter nach Ghana. Um eine 10-stündige Busfahrt nach Tamale zu vermeiden, nehmen wir einen 1-stündigen ´Starbow´-Flug. Fast schon dachte ich, dass der Platz neben mir frei bleiben würde, da sehe ich einen massigen Mann die alte Tupolev betreten. Vorwärts geht nicht, er versucht es im seitlichen Nachstellschritt. An unserer Sitzreihe angekommen, deutet er auf den Platz neben mir. Nein, das ist jetzt nicht wahr! Höflich stehe ich auf, der Mann windet sich zum Sitz. Natürlich passt er nicht hinein, die Armlehne bricht aus. Und wo bitte soll ich jetzt sitzen? Anstandshalber versuche ich es, aber selbst mit meinem Zwergenmaß scheitere ich. Jump Seat also.

In Tamale schlägt uns eine Hitzewelle entgegen, die Temperaturen sollten über den Tag noch auf 40 Grad + klettern. Keine Spur mehr von der Üppigkeit des Südens, vorherrschende Farbe: braun.

Chereponi-Distrikt, Nordost-Ghana

Nach 5 Stunden kommen wir in Chereponi an und beginnen direkt mit der Bestandsaufnahme des Projekts. Anders als in der vergangenen Saison hatten die Frauen mit extremer Dürre zu kämpfen. So konnten nicht alle 350 Felder unserer in der Anoshe Women Group (AWG) organisierten Frauen gepflügt werden, sondern nur 320. Und die Ernte war mager. 27 Frauen haben es nicht geschafft den ausgegebenen Kredit für den Feldfrüchteanbau zurückzuzahlen. Die Gruppe konnte jedoch mit dem gestiegenen Preis für Soja die Verluste nahezu kompensieren. Beeindruckend für uns, dass die Gruppe darauf besteht, dass die 27 Frauen ihre Rückzahlungen in der diesjährigen Saison zusätzlich leisten sollen. Die Frauen bestehen auf Gleichheit, sie unterstützen den Wettbewerb, sie wollen jede in ihren Dörfern die Besten sein. Bewundernswert. So sind auch in gemeinsamer Entscheidung mit Nicholas, unserem Projektleiter, diesmal die Mikrokredite nur an die Frauen aus Kpaboku ausgezahlt worden. Über drei Monate können sie damit Kleinhandel betreiben und so noch etwas dazu verdienen. Eine Kombination von Maßnahmen, die aus unseren positiven Erfahrungen aus unserem Mikrokreditprojekt resultieren.

Frauen aus Kpaboku

Einen weiteren wichtigen Punkt sprechen wir an diesem ersten Arbeitstag noch an: wir wollen das AWG Projekt institutionalisieren. Wir wollen, wie in Gambia, eine lokale NGO gründen, die den dauerhaften Fortbestand des Projekts sichern soll. Nicholas ist sehr angetan von der Idee, und vereinbart gleich ein Interview mit einem möglichen Kandidaten für die Position eines Office-Managers, der die administrative und finanzielle Abwicklung übernehmen könnte. Die Dynamik, die diese Idee auslöst, kann die Erschöpfung des anstrengenden Reisetages nur kurzweilig lindern. Die Hitze will auch in der Vollmondnacht nicht weichen, wir schlafen im Innenhof des Compounds in unserer eigenen Pfütze.

Im Innenhof

Am nächsten Tag geht es in die Dörfer Chere-Nakaku, Ando-Kajura und Nansoni. Alle Frauen benennen die Entbehrungen und Rückschläge durch die Dürre, aber auch die unerschütterliche Hoffnung, in dieser Saison erfolgreicher zu sein. Sie erwähnen den dringenden Wunsch nach einem zweiten Traktor, der mehr Felder pflügen möge, und auch die Anschaffung eines Anhängers, welcher mehrere Transportengpässe lösen könnte. Eine weitere Idee löst ebenfalls einhellige Zustimmung aus: der Bau eines zentralen Lagerhauses. Alle Frauen könnten ihre gesamte Ernte an die AWG-Organisation verkaufen, diese wiederum könnte die Ernte bis zu einem günstigen Zeitpunkt einlagern und dann als Großkunde die Zwischenhändler ausschalten. Neben all diesen strategischen Plänen hören wir uns auch die Sorgen bezüglich nachlassender Bodenfruchtbarkeit an. Diesen Aspekt werden wir in der Vorbereitung einer zweiten 4-köpfigen Studentengruppe der Universität Hohenheim betonen. Wir müssen den nachhaltigen Erfolg dieser von Mühsal geplagten Bäuerinnen sichern. Und so abgearbeitet und ausgezehrt sie sind, sie beschenken uns mit ihrem Dank. Dank dafür, dass sie mit unserer Unterstützung überhaupt erstmals ein eigenes kleines Einkommen generieren konnten. Unvorstellbar, wie ihr Leben ohne diese Einnahme war, die Armut in diesem vergessenen Landstrich ist erschütternd.

Frauen aus Nansoni

Der einbestellte Kandidat Abdullahi Baba macht einen aufgeweckten Eindruck, und ist scheinbar versiert in allen Büroarbeiten. Versuchen wir es mal. Ein kleines Büro und notwendige Einrichtung geht in die Planung. Für Nicholas heißt das mehr Freiraum für die strategische Weiterentwicklung des Projekts unter der Prämisse, dass die Frauen Einkommen erwirtschaften und ihre Lebensumstände dadurch selbst verbessern können. Natürlich stellen wir uns die Frage, ob nicht auch diese Frauen eine Bewässerungsanlage verdient hätten. Die Wassersituation ist verheerend, von sauberem Trinkwasser ganz zu schweigen. Zum einen ist die Erfolgsquote für Wasserbohrungen ob schwieriger geologischer Formationen 1:10, zum anderen sind die Einkommensmöglichkeiten für die Frauen, selbst mit unserer Unterstützung noch zu begrenzt, um eine solche Anlage refinanzieren zu können. Und wir werden nur Projekte anschieben, die in Eigenverantwortung und Eigenregie dauerhaft weitergeführt werden können. Sonst hätten wir einmal mehr das Abziehbild des Gönners hinterlassen, ohne wirklich etwas zu verändern.

Beim Weber

Am Abend gehe ich beim Weber vorbei, ich hatte gesehen, dass sein steinbeschwerter Kamm mit den Spannfäden sich erheblich verkürzt hat. Eine Rolle mit 4 Yards wunderschönem Band ist entstanden, woraus Schneider die herrlichen traditionellen Umhänge kreieren. Zwei Tage, je 12-stündige Webarbeit für 15 Cedis Profit = zirka 5 Euro. Bescheiden, aber er kann seine Familie ernähren. Wie hart Menschen arbeiten müssen, nur um sich und ihre Familien ernähren zu können – wir sind jedes Mal ergriffen, überwältigt und beschämt.

So auch am nächsten Tag, bei den Frauen aus Kpaboku. Uns zu Ehren haben sie Pitu-Bier (Hirse) gebraut, sie möchten unbedingt ihre Dankbarkeit ausdrücken. Dass wir sie nicht im Stich lassen, dass wir immer wieder kommen, dass wir ihnen eine Chance geben, eine unternehmerische Chance.

Pitu-Bier

Der Metromass-Bus nach Tamale ist über 3 Stunden verspätet, eine weitere Stunde dauert es, bis alle Säcke verladen sind. Der sicher 30 Jahre alte Neoplan-Bus ist ein robustes Arbeitspferd, ständig überladen und ungeachtet der Straßenverhältnisse mit Karacho unterwegs. Die Menschen die im Gang auf den aufgetürmten Holzkohlesäcken sitzen, donnern bei jedem Schlagloch an die Decke. Und derer gibt es viele. Dafür ist Stehplatz halt halber Preis. Sicherheitsvorschriften? Leider fährt uns der Folgebus nach Offinso davon, wir müssen in ein Guesthouse. Jedenfalls kommen wir so zu einem Eimer Wasser. So dreckig waren wir schon lange nicht mehr.

Verdammt, wenngleich seit 4 Uhr morgens auf den Beinen, fährt uns wieder ein Bus vor der Nase weg! Als wir endlich am Mittag in Offinso eintreffen, sind wir reichlich lädiert. Dennoch gehen wir gleich in die Besprechung mit Kwame, dem Projektleiter unseres Mikrokreditprojekts. Eigentlich braucht er unsere Hilfe nicht mehr, nach nun 5 Jahren trägt sich das Projekt alleine. Die ´First-Step-Foundation´ hat bis dato über 600 Frauen zum Aufbau eines kleinen Geschäftes verholfen. Keine Zahlungsausfälle, die Frauen sind bis auf wenige Ausnahmen alle noch im Geschäft. Sie haben ein Konto und bilden Rücklagen. Großartig! Es ist der Einzigartigkeit von Kwame geschuldet, dass dieses Projekt so erfolgreich läuft. Er kennt jede seiner Schützlinge genau, fordert und fördert sie. Und anders als die vielen Banken, die sich mit diversen Mikrokredit-Hilfen schmücken, beginnen wir bei Zero. Die Banken machen sich die Finger nicht schmutzig – wir sind stolz auf unsere ´Drecksarbeit´. Das Berichtsstandwesen ist hervorragend, die Zahlen sprechen für sich: alles im Griff. Hier und da notwendige, administrative Korrekturen und Verbesserungen, alles soll transparent und nachvollziehbar sein.
Jetzt will Kwame raus aufs Land, dort, wo die Armut noch größer ist. So wie Nicholas sich Maßnahmen aus dem So-Memu Programm entlehnt, will Kwame erfolgreiche Maßnahmen aus dem AWG Projekt übernehmen. Im Sommer werden wir ihn mit in den Norden nehmen. Gut, wenn die Projektpartner sich gegenseitig beraten können.
Zufrieden sinken wir in eine nur lauwarme, aber sehr humide Nacht = kleinere Pfütze. Wer hier eine Obstplantage besitzt kann sich glücklich schätzen. Mangos, Orangen, Papayas, Bananen, Ananas, Avocados – zum Dahinschmelzen. Genug geschlemmt, weiter geht´s.

Wir besuchen die temperamentvolle Christiana mit ihrem wandelnden Schmuckladen. Sie sprüht vor Stolz, als sie berichtet, dass sie an guten Verkaufstagen bis zu 7 Cedis Profit macht, rund 2,50 EURO. Sie hat Kwames Kosten- und Gewinn Schulung mitgemacht und kann ihre Einkaufs- und Verkaufspreise genau beziffern. Na, wenn das kein guter Start ist.

Christiana

Macey treffen wir in einer lähmenden Situation an. Seit Tagen bricht die Stromversorgung zusammen, ihr kleiner Kühlschrank schafft die Kühlleistung nicht mehr. Und niemand kauft warmes Wasser. Hoffentlich bessert sich die Situation bald. Dann kauft sie wieder ein Pack Wasserbeutel für 1,50 Cedis ein, 30 gekühlte Beutelchen verkauft sie am Straßenrand für insgesamt 3,00 Cedis, wenn möglich mehrere Packs am Tag.

Macey

Ines ist eine gescheite junge Frau, auch sie alleinerziehend mit Kind. Mit einem Kleinhandel von Reis über Holzkohle, über Fisch und Gemüse hält sie sich nun über Wasser. Und wie wir mitbekommen, kauft man gerne bei ihr. Dennoch, der Aufschlag ist gering und die Anstrengung groß, um pro Tag 7 Cedis Profit zu erzielen. Die haltbaren Produkte kann sie in Großmengen einkaufen mit größerer Handelsspanne, aber gut verkaufen kann Ines nur mit einem zusätzlichen Frischangebot mit nur geringfügigem Aufpreis. Sie ist klug und sie kann gut kalkulieren, so sind wir zuversichtlich, dass sie es vielleicht sogar zu einem kleinen Laden schafft. Damit sie herauskommt aus der Armutsfalle.

Ines

Viel Glück, ihnen allen!

Am Nachmittag treffen wir noch mit Mr. Agyeman zusammen, unserem sympathischen Rechnungsprüfer für unsere beiden ghanaischen Projekte. Gewissenhafte Zahlen, sorgsame Übersicht sind Rückhalt für die Transparenz der Stiftung. Wir haften für unsere treuen Spender und gegenüber der deutschen Stiftungsaufsicht. Es muss eben alles stimmen.

K.o., langsam baut sich der Wirbel unserer Gedanken zu einem handfesten Sturm auf. Zeit, die Rückreise anzutreten und noch einen Tag protokollierend und niederschreibend am Strand zu verbringen.

Der quälende Verkehr in Kumasi eröffnet uns Beobachtungen des Recyclingprogramms in Afrika. Mehrere hundert Meter Automotoren, mehrere hundert Meter Abgasrohre, mehrere hundert Meter Stoßstangen, Autodächer, Autotüren, Kurbelwellen. Mehrere hundert Meter Computerbildschirme, Kühlschranktüren, Kühlaggregate . . . mehrere . . . vielleicht sollten wir Afrika mehrere hundert Preise fürs Recyceln und Wiederverwenden unserer Wegwerfprodukte verleihen. Unglaublich, diese kreative praktische Intelligenz!

Atlantik

Wellenrauschen durch eine Pfützen-lose Nacht. Wellenrauschen spült unsere Prioritäten an Land. Unermüdlich. Afrika lässt einen nicht mehr los. Lebenslang. Bis denn bald wieder!

Accra, 19. März 2014

Edith Lanfer

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.