Reisebericht, Gambia im April 2015

Götz über neue, meistenfalls gute Entwicklungen im Baddibu-Projekt

15.04.
Um 9:25 geht es von Frankfurt los. Diesmal ist Laura dabei, meine Nichte. Sie will sich vor Ort einen Eindruck verschaffen, das wird interessant.In Brüssel treffen wir Edith und Frieder, wir sind komplett. Der Flug nach Banjul über Dakar ist ereignislos. Gegen 19:30 erreichen wir Banjul, wo wir von Babukar Njie erwartet werden. Wenig später kommen wir im mittlerweile schon vertrauten Leybato Hotel an.

Es ist ein Jahr vergangen, seit ich das letzte Mal hier war und es ist viel passiert, zuviel möchte man sagen. Nurudeen, unser lokaler Partner und Weggefährte, der mit Edith und Frieder die Dinge hier vor fünf Jahren angestossen hat, ist im Oktober bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Eine Tragödie, nicht nur für unser Projekt hier, sondern für die ganze Region. Nurudeen war ein Leuchtturm, einer, der es durch Bildung und Fleiss aus dem Dorf in die weite Welt geschafft hatte. Er war für die Dörfer gleichsam eine Brücke in die Zivilisation. Wir werden ihn sehr vermissen, als Freund und als treibende Kraft bei diesem Projekt, der kaum zu ersetzen sein wird und ohne den die Dinge sicherlich nicht einfacher werden.

Eine der letzten Dinge, die Nurudeen mit Frieder im Herbst letzten Jahres angestossen hatte, war die Übergabe der Verantwortung für die Strom- und Wasseranlagen an die jeweiligen Dorfgemeinschaften. Im Sommer hatten wir bei Edith und Frieder mit Achim zusammengesessen und lange über das weitere Vorgehen in Gambia diskutiert. Schliesslich haben wir uns entschieden, dass es an der Zeit ist, die Dörfer stärker in die Pflicht zu nehmen. Nach entsprechenden Vorbereitungen und Trainings für die Dörfler ist die Übergabe zum Jahreswechsel erfolgt. Gleichzeitig hat die Stiftung auf alle mit den Investitionen in die Anlagen zusammenhängenden Forderungen verzichtet, sodass die Dörfler unbelastet nach vorne schauen können. Es bleibt abzuwarten, wie die Dörfer mit dieser neugewonnenen Freiheit umgehen und vor allem, wie es auf Dauer der Funktionsfähigkeit der Anlagen bekommt.

Unterzeichnen der Übergabeverträge, Februar 2015

Unterzeichnen der Übergabeverträge, Februar 2015

Parallel zu den Übergabeaktivitäten hat die Stiftung noch zwei grössere Investitionen vorgenommen. Zum einen wurde zur Nutzung des Wasserüberschusses in Dutabullu ein weiteres, in unmittelbarer Nähe gelegenes Dorf, Kalataba, mit an die Wasseranlage angeschlossen. In Verbindung damit wurde dort ein weiterer, ungefähr zwei Hektar grosser Gemüsegarten angelegt, der jeweils zur Hälfte von den Einwohnern in Kalataba bzw. Dutabullu bewirtschaftet werden soll. Zum anderen wurde in Chamen wegen der notorischen Wasserknappheit ein neues Bohrloch mit einer stärkeren Pumpe installiert, in der Hoffnung, das auf dieser Basis nun endlich die kompletten zwei Hektar des dortigen Gartens bewirtschaftet werden können.

Mit der Übergabe der Anlagen entfallen für die von Sabab Lou errichtete lokale NGO, die Rural Development Organization (RDO), eine Reihe von Aufgaben. Für die Zukunft soll sie sich nun darauf konzentrieren, über die Vergabe von Mikrokrediten Projekte zu fördern, die idealerweise auf der geschaffenen Infrastruktur der Wasseranlagen und Gemüsegärten aufsetzen, z.B. der Weiterverarbeitung des Gemüses, Lagerung und Transport, Milchproduktion usw. Jamu, der CEO der RDO, hat diesbezüglich schon die Einwohner in den drei Dörfern aufgefordert, sich mit Ideen und Vorschlägen zu melden und auch Rücklauf erhalten.

Vor diesem Hintergrund ist die Agenda dieser Reise klar. Wir wollen schauen, in welchem Zustand die Strom- und Wasseranlagen sowie die Gemüsegärten sind und ob die Erweiterungsinvestitionen in Dutabullu und Chamen ordentlich durchgeführt wurden bzw. werden. Darüber hinaus wollen wir die erste Welle an Projektvorschlägen sichten und, soweit möglich, auch den einen oder anderen Mikrokredit bereits gewähren. Hierbei soll uns Kwame unterstützen, der seit Jahren das Mikrokreditprojekt der Stiftung in Ghana erfolgreich führt. Er verfügt diesbezüglich über einschlägige Erfahrungen und sollte uns eine grosse Hilfe sein. Aus Ghana kommend wird er auch heute in Banjul eintreffen und Frieder wird ihn später noch am Flughafen abholen. Schliesslich wollen wir den Jahresabschluss zum 31.12.2014 mit Momodou, unserem Accountant, durchsprechen und sehen, ob die Übergabe der „Reservekonten“ an die Dörfer ordnungsgemäss verlaufen ist und die Dörfer ihre Reserven auch im Jahr nach der Übergabe wie vereinbart weiter bilden. Ein intensives Arbeitsprogramm erwartet uns also.

Im Hotel gibt es zum Abendessen Fisch mit Reis, gut. Der Fernseher dudelt im Hintergrund, die Champions League spielt und die Bayern verlieren in Porto 1:3, dagegen gewinnt Barcelona in Paris 3:1. Mit Barcelona wird wohl wieder zu rechnen sein, die Bayern werden dagegen ein kleines Wunder vollbringen müssen. Im übrigen weht ein kräftiger Wind und es ist recht frisch so direkt am Atlantik.

16.04.
Wir stehen bereits um 5:15 auf. Wir wollen möglichst früh die Fähre in Banjul nehmen und auf der Nordseite des Gambia-Flusses nach Farafenni fahren. Offensichtlich hat sich der Fährverkehr hier wieder normalisiert und es stimmt, bereits gegen 10:00 kommen wir auf der anderen Seite des Flusses in Barra an und werden dort von Musa empfangen.

Insgesamt macht Gambia in diesen ersten 24 Stunden entgegen meinen Erwartungen und trotz der politischen Spannungen einen recht guten Eindruck: wir haben die ganze Zeit Strom, das WLAN im Leybato Hotel läuft ohne Probleme, der Fährverkehr funktioniert wieder. Später in Farafenni ein ähnlicher Eindruck, die Stromversorgung arbeitet verlässlicher und bei Eddy’s, unserer Absteige in Farafenni, kommt doch tatsächlich Wasser aus der Dusche. Dies alles obwohl die diesjährige Tourismussaison wegen der Ebolakrise ein Desaster war. Gambia ist hier mit ganz Westafrika in Sippenhaft genommen worden, obwohl es im ganzen Land Gott sei Dank keinen einzigen Ebolafall gegeben hat. Das alles lässt zumindest mal hoffen.

Ankunft bei Eddy's

Ankunft bei Eddy’s

Gegen Mittag treffen wir in Farafenni bei Eddy’s ein, wo uns Jamu und Mbelli schon erwarten und wir uns herzlich begrüssen. Wir beziehen die Zimmer und hängen unsere Moskitonetze auf. Es sind dieses Jahr mehr Moskitos unterwegs als in den Vorjahren. Jamu hat ein Glas Tomatenmark und zwei Gläser Tomatenmarmelade dabei, die erst vor ein paar Tagen in Jumansar aus der dortigen Tomatenernte produziert wurden. Es schmeckt sehr gut und Jamu kann stolz berichten, dass die gesamte Produktion von mehreren Dutzend Gläsern ohne Probleme für 50-60 Dalasi, 1,00 bis 1,20 EURO das Glas verkauft werden konnte, es gibt also einen Markt hierfür. Das ist eine echte Opportunität!

Am frühen Nachmittag brechen wir nach Chamen auf. Gegeben die Wasserknappheit macht der Gemüsegarten dort einen ganz guten Eindruck. Insbesondere die gepflanzten Mangobäume kommen inzwischen sehr gut an und tragen viele Früchte. Die Arbeiten an der Wasseranlage laufen und sollen in diesen Tagen abgeschlossen werden. Das sind gute Nachrichten und so ist die obligatorische Besprechung mit dem Alkalo, dem Dorfvorstand, und den übrigen Dorfhonoratioren sehr genügsam.

Garten in Chamen in gutem Zustand

Garten in Chamen in gutem Zustand

Traurig stimmt der Zustand des Compounds von Nurudeens Eltern. Er macht einen heruntergekommenen, ja verwahrlosten Eindruck, in dessen Mitte nach wie vor Nurudeens sehr betagter Vater lebt. Es scheint, als ob der Tod Nurudeens der Familie einen Teil ihrer Lebensenergie genommen hätte. Es ist schlimm.

Wir bauen das mitgebrachte Volleyballfeld auf. Nachdem bisher vor allem die männliche Jugend von mitgebrachten Fussballuntensilien profitiert hat, ist diesmal die weibliche Jugend an der Reihe. Die Mädchen in den drei Dörfern sollen jeweils ein Volleyballfeld inklusive Bällen bekommen und analog zum Fussballturnier im letzten Jahr planen wir für das nächste Jahr ein Volleyballturnier.

Aufbauen des Volleyballfelds

Aufbauen des Volleyballfelds

Schnell scharen sich die Kinder und Jugendlichen um uns herum, neugierig was denn hier passiert. Nachdem das Netz steht und der erste Ball geschlagen ist, ist die Freude gross. Sofort bilden sich zwei Mannschaften und das Spiel beginnt und wird mit lautem Geschrei verfolgt. Laura und ich sind uns sicher, das ist ein Erfolg! Wir übergeben das Netz und die Bälle an die weibliche Jugend des Dorfes unter der Führung von Mama und kündigen das Volleyballturnier für das nächste Jahr an. Es wird interessant sein zu sehen, ob und wie sich die Mädchen in den Dörfern der Herausforderung stellen werden. Aber auch so ist es bereits jetzt ein Erfolg, die Jugendlichen werden ihren Spass beim Spiel haben.

Übergabe von Netz und Bällen

Übergabe von Netz und Bällen

Gegen 17:00 machen wir uns auf den Weg nach Kalataba, um den dortigen neuen Garten zu besichtigen. Es zeigt sich dort ein krasses Bild: die von Kalataba bewirtschaftete Hälfte ist bestens bewirtschaftet und würde jedem deutschen Gemüsegarten zur Ehre gereichen, so sauber und geradlinig sind die Parzellen abgesteckt. Die von Dutabullu zu bewirtschaftende Fläche ist hingegen mehr oder weniger gar nicht bewirtschaftet, unglaublich. Die Sache wird von den Dutabullanern damit erklärt, dass in ihren etwas höher gelegenen Reservoirs nicht genügend Wasser ankommt. Babukar Njie, der die Anlagen hier gebaut und jetzt erweitert hat, sagt, die Anlage pumpe genügend Wasser, müsse aber über den Tag jeweils richtig gefahren werden, sprich, die Ventile so eingestellt werden, dass, wenn das Wasser nach Kalataba fliessen soll, alle anderen Verbraucher abgestellt werden, damit genügend Druck vorhanden ist. Wir beschliessen, dies am nächsten Tag vor Ort zu testen, um Klarheit zu bekommen.

Der „alte“ von Dutabullu bewirtschaftete Garten sieht ansonsten gut aus, nicht ganz so gut wie letztes Jahr, aber immerhin. Die Solar- und Wasseranlage wird zu unserem Ärger allerdings immer noch nicht ausreichend sauber gehalten und gepflegt, ein schwer zu verstehendes Ärgernis. Frieder wird das morgen ansprechen.

der alte Garten von Dutabullu

der alte Garten von Dutabullu

Gegen 18:30 sind wir recht erschöpft zurück in Eddy’s Hotel. Es war ein langer Tag und die Hitze macht einem doch immer wieder zu schaffen. Zum Abendessen gibt es Moses‘ Traditionsessen: Hühnchen mit selbst gemachten Pommes. Als Laura später in ihr Zimmer geht, macht sie Bekanntschaft mit einer in ihren Augen riesigen Spinne, was Schlafen selbstverständlich unmöglich macht. Babukar erklärt sich ritterlich sofort bereit, das Problem zu lösen und verschwindet mit einem Fussschlappen in der Hand in ihrem Zimmer. Die Spinne, nicht dumm, riecht den Braten und verduftet, was die Sache verschlimmert, denn eine unsichtbare Spinne ist um ein Vielfaches schlimmer als eine sichtbare. So zieht sich die Jagd hin, aber zu Lauras grosser Erleichterung gelingt es Babukar schliesslich, das Biest mit einem gekonnten Hieb mit dem Fussschlappen zur Strecke zu bringen. Die Nacht, der Schlaf ist gerettet!

Später am Abend sitze ich noch mit Babukar zusammen und er fragt, ob ich Interesse hätte, mich mit rund € 75.000,- an seiner Firma zu beteiligen. Er sieht erhebliches Wachstumspotential, müsste aber in Bohrgerät und sonstige Ausrüstung investieren, um daran zu partizipieren. Eine knifflige Frage, am Ende hängt alles davon ab, ob man ihm vertraut, denn sonst kannst Du Dich auf nichts verlassen. Ich sage ihm, dass ich darüber nachdenken werde.

17.04.
Nach einer guten Nacht stehen wir gegen 7:00 auf, Zeit für Frühstück und Reisebericht. Frieder und ich erwarten gegen 9:00 Momodou, um die Accounts bzw. den Jahresabschluss zum 31.12.2014 durchzusprechen. Edith und Laura machen sich hingegen mit Musa auf den Weg nach Chamen. Sie wollen an die Erfolge in Jumansar anknüpfen und mit den Frauen dort Pepper-Sauce herstellen. Als wir sie am frühen Nachmittag in Dutabullu wiedersehen, berichten sie von der erfolgreichen Produktion von 14 Gläsern Pepper-Sauce aus 7 kg Peperonis und diversen anderen Zutaten wie Zwiebeln und Auberginen. Am Abend können wir uns davon überzeugen, dass die Sauce lecker aber nichts für Weicheier ist, eben eine echte Pepper-Sauce. Sie wird ihre Nachfrage finden, erste Tests bei Eddy’s und einige Tage später im Leybato Hotel stossen auf eine positive Resonanz.

Momodous Zahlenwerk macht wie immer einen guten Eindruck, aber leider stimmen weder die Opening Accounts mit dem letztjährigen Jahresabschluss überein, noch stimmen die den Dörfern gehörenden Cash- und Kontostände mit den Übergabe- bzw. Eröffnungswerten zum 01.01.2015 überein. Hier müssen Momodou und Jamu noch kräftig nacharbeiten und, ehrlich gesagt, hätten sie das auch selber sehen müssen. Darüber hinaus bittet Frieder darum, die mit der Übergabe der Anlagen an die Dörfer verbundenen Schenkungen und Abschreibungen noch nicht zum 31.12.2014 zu buchen, da die Übergabe rechtlich und faktisch erst nach Erfüllung aller Voraussetzungen im Laufe des Februar 2015 erfolgt ist.

Mit Jamu gehen wir anschliessend die Entwicklung der Reserven der Dörfer seit dem 01.01.2015 durch. Im grossen und ganzen haben sie sich bis jetzt an ihre Sparpläne gehalten, das lässt hoffen. Allerdings sind die Sparpläne wegen des Anbau- und Erntezyklus sehr endjahreslastig, sodass ein abschliessendes Urteil hierüber wirklich erst am Ende des Jahrs möglich sein wird. Aber soweit, so gut.

Gegen 12:00 brechen wir in Richtung Dutabullu auf, aber nicht, ohne uns vorher noch ein Baguette mit Akara zu gönnen. Dort angekommen stellen wir sicher, dass alle Verbraucher ausser Kalataba abgestellt sind und fahren zum neuen Garten.

der neue Garten in Kalataba im Febbruar, kurz nach der Einpflanzung mit Zwiebeln

der neue Garten in Kalataba im Febbruar, kurz nach der Einpflanzung mit Zwiebeln

Das Ergebnis ist eindeutig, in alle neun Reservoirs läuft aus den Wasserhähnen ein kräftiger Strahl frischen Wassers, Babukar hatte recht. Während wir dort sind, entfaltet sich eine erhitzte Debatte. Auch die Dörfler aus Kalataba behaupten, nicht genügend Wasser zu haben und von Dutabullu zu kurz gehalten zu werden. Wir analysieren die Situation und die wesentlichen Fakten stellen sich wie folgt dar:

– 8-9 Stunden Sonnenlicht und damit Pumpzeit pro Tag von ca. 8:45-17:15
– Pumpvolumen nach Dutabullu knapp 20 Kubikmeter pro Stunde
– Pumpvolumen nach Kalataba ca. 14-15 Kubikmeter pro Stunde, also rund 5 Kubikmeter weniger wegen der grösseren Entfernung zur Pumpanlage
– 80% oder 16.000 Quadratmeter bewirtschafte Fläche in Kalataba, bei 4 Litern pro Quadratmeter pro Tag ein Wasserbedarf von 64 Kubikmetern; für die rund 250 Bewohner von Kalataba werden zusätzlich ca. 15 Liter pro Bewohner bzw. knapp 4 Kubikmeter benötigt; insgesamt also 68 Kubikmeter
– Bei 14-15 Kubikmeter Pumpvolumen pro Stunde muss die Anlage also knapp 5 Stunden exklusiv für Kalataba laufen
– 8.000 Quadratmeter bewirtschaftete Fläche in Dutabullu und 450 Bewohner implizieren einen analogen Wasserbedarf von knapp 39 Kubikmeter
– Bei knapp 20 Kubikmeter Pumpvolumen pro Stunde muss die Anlage also etwa zwei Stunden exklusiv für Dutabullu laufen
– Bei opimaler Nutzung verbleibt ein Puffer von 1-2 Stunden Pumpzeit

Kurzum, die Anlage pumpt genügend Wasser, das gepumpte Wasser muss aber kontinuierlich fliessen bzw. genutzt werden und der Wasserfluss muss über den Tag über die Ventile vernünftig geregelt werden. Sinnvoll scheint z.B. die Regelung 1/5/2, d.h. von den rund acht Stunden Pumpzeit am Tag sollte die erste Stunde für Dutabullu gepumpt werden, dann rund fünf Stunden für Kalataba und die verbleibenden zwei Stunden dann wieder für Dutabullu. Der Eindruck der Dörfler von Kalataba, nicht genügend Wasser zu bekommen, ist vor diesem Hintergrund sicherlich dem Umstand geschuldet, dass bisher bei weitem nicht fünf Stunden am Tag exklusiv für Kalataba gepumpt wurde. Edith wird später ausserdem darauf hinweisen, dass man für die fünf Stunden Pumpzeit in Kalataba am besten fünf Gruppen bildet, die jeweils eine Stunde wässern. Dann passen verfügbares Wasser und Wasserbedarf (der Gruppe) über die Zeit am besten zusammen.

Zurück in Dutabullu bespricht Frieder dies in einer langen Sitzung mit den beiden Water Committees der Dörfer. Ob alles so rüberkommt, bleibt unklar, aber alle Teilnehmer versprechen, in dieser Frage eng kooperieren zu wollen. Edith hat eine sehr gute Idee. Sie will am nächsten Tag mit den Frauen von Dutabullu nach Kalataba gehen, um ihnen (bei richtiger Ventilstellung!) zu demonstrieren, dass das Wasser fliesst und genügend ankommt, um den gesamten Garten zu wässern. Das wird sicherlich einen Fortschritt bringen, die eigene Anschauung ist doch immer noch eines der überzeugendsten Argumente.

Parallel zur Sitzung bauen wir auch hier das Volleyballnetz auf. Genauso wie in Chamen ist es ein grosser Erfolg und es wird spontan mit dem Spiel begonnen. Wir übergeben Netz und Bälle an die weibliche Jugend unter der Führung von Awa.

Gegen 17:30 sind wir zurück bei Eddy’s. Nach einer „kleinen Wäsche“ steht das Thema  Mikrokredite an. Für heute Abend haben wir uns vorgenommen, einmal grob die Liste der bisher eingegangen Vorschläge durchzugehen und auf dieser Basis unsere diesbezüglichen strategischen Prioritäten zu diskutieren. Im Moment liegen über dreissig Vorschläge vor, die sich weitestgehend um die Themen Food Processing, Milk Production, Sheep Fattening, Cow Trading, Wholesale Vegetable Trading, Retail oder Petty Trading und Transportation drehen. In der anschliessenden Diskussion kristallisieren sich schnell die wichtigsten Prioritäten heraus: sie sollen vor allem auf der bisher geschaffenen Basis aufbauen und diese weiterentwickeln und neben dem Vorteil für den Unternehmer einen Nutzen für die Dörfer entfalten. Darüberhinaus gilt es, auf die vielversprechendsten Unternehmer zu fokussieren, denn die sind es, die letztlich den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen. Die Diskussion ist lebendig und wird am Schluss bei Taschenlampenlicht geführt, es gibt mal wieder keinen Strom in Farafenni.

Zum Abendessen gibt es Spaghetti mit Tomatenmark aus Jumanssar, eine willkommene Abwechslung. Jamu gibt die Fotos von seiner traditionellen einwöchigen (!) Hochzeitsfeier zum Besten, die erst vor kurzem über die Bühne gegangen ist. Jamu macht auf diesen Dutzenden von „Posing-Fotos“ einen sehr unglücklichen Eindruck, es ist ihm anzusehen wie er leidet, es ist sehr, sehr lustig.

18.04.
Um 9:00 ist Abfahrt nach Jumanssar. Auf dem Weg dorthin setzen wir Edith in Dutabullu ab. Sie hat sich zwischenzeitlich eine Gießkanne besorgt. Sie will damit zusätzlich die Dörfler dazu bewegen, zum Bewässern statt in der Mitte durchgeschnittene Wasserkanister doch Gießkannen zu benutzen. Mit ihnen gießt man nicht nur wesentlich schonender, sondern man braucht mit 30 statt 45 Liter pro Parzelle, das sind 5 m², auch signifikant weniger Wasser. Bisher haben sich die Dörfler jedoch dieser Erkenntnis unverständlicherweise aber konsequent entzogen, obwohl von der RDO Giesskannen zur Verfügung gestellt wurden. Manchmal ist es einfach wirklich schwierig zu verstehen, was in ihren Köpfen vorgeht.

In Dutabullu angekommen, stellt sich jedoch ein simples Problem. Keine der Frauen ist da, um mit Edith die Verfügbarkeit von ausreichend Wasser im Garten von Kalataba zu testen und den Garten bzw. die Dutabullu gehörende Hälfte zu wässern. Das ist nun wirklich nicht gut und Edith ist verständlicherweise ziemlich aufgebracht. So entschliesst sie sich zu einer Demonstration anderer Art: sie geht, begleitet von Ousman, dem Nachtwächter des RDO-Büros, alleine, fest entschlossen, das Wässern des Hektars Garten alleine durchzuziehen. Später wird sich rausstellen, dass sowohl genügend Wasser ankommt, als auch, dass Edith mit der Unterstützung von Ousman den Hektar innerhalb von vier Stunden komplett bewässert hat. Wow! Und mit den Frauen von Dutabullu wird sie noch ihr Hühnchen rupfen.

Garten Jumansar, schon im Februar im vollen Wuchs

Garten Jumansar, schon im Februar im vollen Wuchs

In Jumansar besichtigen wir zunächst den 6 ha großen Garten. Wir sind genau zwischen dem ersten und zweiten Erntezyklus und man kann gut erkennen, dass inzwischen der komplette Garten bewirtschaftet wird. Zusammen mit den von Musa aufgenommenen, herausragenden Produktionsmengen ein wirklich ausgezeichnetes Ergebnis. In Verbindung mit der mittlerweile erfolgten, ersten Produktion und Vermarktung von Tomatenmark und -marmelade ist sehr klar, dass Jumansar auf einem wirklich guten Weg ist, deutlich besser als Chamen und Dutabullu. Die Einwohner Jumansars gehören allesamt dem Stamm der Mandinkas an, und diese sind traditionell Farmer. Sie wissen nicht nur, was sie für einen großen Garten tun müssen, sondern arbeiten auch hart dafür.

Nicht so gut ist, dass in dem Garten viele wilde Bohrlöcher entstanden sind. Die Frauen möchten das Wasser nicht so weit tragen. So verständlich das ist, so problematisch ist es auch, weil dadurch der Grundwasserhaushalt durcheinander kommen kann. In der sich anschliessenden, üblichen Besprechung mit den Dorfhonoratioren weisen deshalb Frieder und Babukar darauf hin, dass weitere Bohrlöcher nur im Rahmen einer entsprechend fundierten Planung gegraben werden sollten.

Die Besprechung ist ansonsten Routine, nur bei einem Punkt kommt Aufregung auf, nämlich als es um das Mikrokreditprojekt geht. Hier zeigt sich, dass die grosse Mehrheit der Dörfler das Projekt nicht einmal ansatzweise verstanden hat. Viele fragen, warum das Geld, dass offenbar verfügbar ist, nicht einfach dem Dorfkollektiv übergeben wird und das Dorf entscheidet über die weitere Verwendung. Von Themen wie Unternehmertum, Zinsen und Tilgungsraten einmal ganz abgesehen. Die Diskussion macht deutlich, dass wir hier einen sehr, sehr langen Weg vor uns haben und wir sehr vorsichtig vorgehen müssen: Misserfolge bei den ersten Projekten wären bestimmt nicht hilfreich.

die Girls von Jumansar

die Girls von Jumansar

Am Ende der Besprechung kommen wir auf das Thema Volleyball zu sprechen und, nicht überraschend, wird auch hier der Aufbau des Volleyballfeldes zu einem Grossereignis und einem vollen Erfolg. Die Führerin der weiblichen Jugend  heisst hier Alima und sie ist eifrig bei der Sache. Den Höhepunkt bildet eine spontane Tanzeinlage der jungen Damen zum Dank für die Spender und die schönste von ihnen heisst Nassa. Jetzt haben alle drei Dörfer ihre Ausrüstung, dem Turnier im nächsten Jahr steht nichts mehr im Wege. Wir dürfen gespannt sein, wie sich die jungen Damen mit ein bisschen Übung schlagen werden.

Wo, zum Teufel, versteckt sich Nassa?

Wo, zum Teufel, versteckt sich Nassa?

Auf dem Rückweg holen wir Edith in Dutabullu ab, sie hat tatsächlich im Alleingang den halben Garten bewässert und ist ob der Versäumnisse der Frauen von Dutabullu stinksauer. Für morgen 9:00 wird eine Sitzung des Garden Committees einberufen, das wird nicht lustig werden.

Gegen 16:30 sind wir zurück bei Eddy’s und nach einer „kleinen Wäsche“ und einer Stärkung durch Kartoffelbrot steigen wir in die zweite Runde zum Thema Mikrokredite ein. Von den über 30 Projektvorschlägen wählen wir 17 aus, die in den nächsten Tagen gemeinsam von Jamu und Kwame intensiver geprüft werden sollen. Durch das Raster fallen Sheep Fattening und Cow Trading sowie einige Vorschläge, bei denen aus verschiedenen Gründen eine Kreditvergabe nicht in Frage kommt. Die Vorschläge zum Thema Retail Trading wollen wir zurückstellen, sie haben nicht erste Priorität. Dem Thema Transportation wollen wir uns in einer separaten Übung widmen. Unbestreitbar ist Transport ein Problem, aber eine weitere Vergrösserung des bereits durch den Markt bereitgestellten Überangebots scheint uns nicht der richtige Weg zu sein. Hier geht es wohl mehr um eine intelligentere Verknüpfung von Nachfrage (in den drei Dörfern) und Angebot. Alle übrigen Vorschläge kommen in die zweite Runde.

Zum Dinner gibt es wieder Hühnchen mit Pommes, zu mehr Vielfalt ist Moses nicht in der Lage. Später plärrt die Musik aus dem iPad und diversen anderen Geräten. Es wird ein launiger Abend. Jamu und Kwame unterhalten sich angeregt mit Laura und bleiben für ihre Verhältnisse ungewohnt lange.

19.04.

Edith, mit Gießkanne, vor ihrer denkwürdigen Ansprache. Links neben ihr Jamu und Laura, rechts neben ihr Baboukar und Kwame

Edith vor ihrer denkwürdigen Ansprache. Links von ihr Jamu und Laura, rechts von ihr Baboukar und Kwame

Nach dem Frühstück geht es nach Dutabullu, um 9:00 ist das Meeting angesetzt. Frieder und Edith halten ihre Ansprachen. Kurz und knapp und insbesondere Edith ihrer Enttäuschung deutlichst Ausdruck verleihend: „you are either too stupid, too lazy or too rich not to take advantage of this opportunity.“ Das ist mehr als deutlich und man sieht den Frauen von Dutabullu an, dass sie sehr beschämt sind. Sie wissen, dass sie ihre Frieder im Februar gegebenen Versprechen nicht gehalten haben. Aber Edith gibt auch eine Reihe von praktischen Hinweisen, wie die Frauen die Bewässerung einfacher und effektiver gestalten können. Sie reichen von der Benutzung von Giesskannen, über die richtige Wässerung von Zwiebeln (nicht zuviel Wasser) bis hin zur Aufteilung in Gruppen im Stundenrhythmus, um die Sonnen- und damit Pumpzeit ohne Unterbrechung nutzen zu können. Und sie schliesst ihre Ansprache sehr emotional: die Frauen schulden es Nurudeen, seinen Traum wahr werden zu lassen. Kurz darauf ist die Besprechung zu Ende. Ich habe das Gefühl, dass die Botschaft angekommen ist und zumindest für den Moment der Wille da ist, die Sache jetzt anzugehen. Wir werden sehen.

Nach einem kurzen Debriefing bei Eddy’s machen wir noch einen Stop im Büro der RDO, um die Pepper-Sauce-Gläser, die wir für das Leybato Hotel mitnehmen wollen, mit Labeln zu versehen. Währenddessen wird eine unaufmerksame Ziege von einem unaufmerksamen Autofahrer auf der Strasse über den Haufen gefahren und tödlich verletzt. Jamu, solches wohl gewohnt, greift sich ein Messer und schneidet der Ziege kurzerhand die Kehle durch. Sie muss ausbluten, damit ihr Fleisch für den Verzehr geniessbar bleibt. Für die einen Alltagsroutine, für die anderen ein Schreck, wie unterschiedlich doch die Erfahrungswelten sind. Wir verabschieden wir uns von Jamu, Kwame und den anderen. Kwame wird noch eine Woche bleiben, um mit Jamu an den Mikrokrediten zu arbeiten. Alles in allem sind wir nicht unzufrieden mit dem, was wir in den letzten Tagen erlebt und erreicht haben.

Die Fahrt nach Barra mit Babukar Njie ist ansonsten ereignislos. Auf die Fähre in Barra gehen wir zu Fuss, das ist schneller und die Fahrer können mit den Autos später nachkommen. Auf der Fähre treffen wir auf ein Gruppe Mouriden, einer senegalesischen Muslim-Brudschaft, die recht lauthals für ihre Sache Werbung betreiben. Die gambischen Mitreisenden begegnen ihnen recht skeptisch. Wie ich von Babukar erfahre, sind die Mouriden eine der einflussreichsten Bruderschaften im Senegal und wirtschaftlich recht erfolgreich. Ich hatte bisher nur von der Muslim-Bruderschaft in Ägypten gehört und war mir nicht bewusst, dass diese Bruderschaften ein weiter verbreitetes Phänomen in der islamischen Welt ist.

Mit dem Taxi erreichen wir früh am Nachmittag das Leybato Hotel, Zeit am Strand auszuspannen. Zum Abendessen gehen wir mit Babukar in ein vom ihm ausgewähltes indisches Restaurant, The Clay Oven. Edith mit ihren indischen Erfahrungen bestellt und es wird ein netter Abend. Noch beim Absacker im Leybato diskutieren wir inspiriert durch die Erfahrung mit den Mouriden über die islamische Herausforderung der westlichen Wertegemeinschaft. Vielleicht das Thema der Zeit, das, wie ich befürchte, uns und unsere Nachkommen noch lange beschäftigen wird.

20.4.
Ein Tag am Strand, wunderbar! Zeit, Reisebericht zu schreiben und Emails und dergleichen aufzuarbeiten. Und Zeit, mal wieder Sport zu treiben. Frieder und ich gehen nach dem Frühstück erst einmal eine Runde laufen. Danach gönne ich mir eine Full Body Massage, genau richtig. Ansonsten lose Gespräche, die Sonne geniessen, Pizza essen, eine Tasse Kaffee trinken.

Strandgeplänkel zwischen Laura und Musa

Strandgeplänkel zwischen Laura und Musa

Am Nachmittag besucht uns Musa, wunderbar angezogen mit roten Schuhen und Fliege als Höhepunkt. Und irgendwie sieht es bei ihm richtig „stylish“ aus, er kann sowas tragen. Im Juni hat er seine Abschlussprüfung und wird sich danach um einen Job bemühen. Laura und ich sind uns einig, dass er es irgendwie schaffen wird. Er ist nicht nur relativ smart, sondern auch wirklich originell.

Um 17:00 holt uns Babukar ab, der uns freundlicherweise zum Flughafen fährt. Alles klappt ohne Probleme und gegen 19:45 heben wir pünktlich ab Richtung Dakkar bzw. Brüssel, wo wir am Morgen nach einem ereignislosen Flug planmässig landen. Es war ein guter Trip. Bis jetzt hat sich die Übergabe der Anlagen an die Dörfer als richtiger Schritt erwiesen, aber es ist zu früh, dies abschliessend zu beurteilen. Und mit dem Mikrokreditprojekt wartet bereits die nächste Herausforderung. Eines ist sicher, wir werden beim nächsten Mal auf jeden Fall ein Volleyballspiel sehen. The Journey continues!

Banjul, im April 2015

Götz Mäuser

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