Nahrungsmittelverarbeitung in Gambia
Auf dem Weg nach Dutabullu bläst mir der Wind wie ein heißer Glutofen ins Gesicht, mein Beutel mit Utensilien und den Käsevariationen auf dem Gepäckträger, meine Zuversicht geschrumpft zu einem kleinen Geheimnis. Wie soll es uns gelingen unter diesen Bedingungen Käse zu machen?
Im Schatten zweier Mangobäume warten 12 Frauen voller Freude und Hoffnung auf diese potentielle Einkommensmöglichkeit. Am frühen Morgen war ich schon bei den Kuhherden und habe die erbärmliche Konstitution der Tiere gesehen. Kein Grashalm weit und breit, Heu unerschwinglich.
Mit Mühe und Aufwand bekommen wir 6 Liter Milch zusammen.
Also, so schmeckt Käse. Die Frauen probieren zunächst zaghaft, finden dann aber, daß dies wunderbar schmeckt mit Brot.
Ich bereite die Käseformen vor, erkläre die Nutzung und bitte um konzentrierte Beobachtung meines Vorgehens. Ein großer Topf ist bereits mit Lehm eingeschmiert, drei zum Verbauen unbrauchbare Mauersteine aufgestellt, kleine Äste und Brennholz entzündet. Unter bedächtigem Rühren erhitzen wir die Milch bis sich am Rand feiner Milchschaum bildet. Ganz sacht und gleichmäßig gießen wir die vorbereitete Mischung aus Essig und Sauermilch hinein, besorgt auf dem lokalen Markt in Farafenni. Die Frauen bemerken die sich bildenden Klumpen an der Oberfläche. Topf runter. Sofort.
Mit einer Schöpfkelle entnehmen wir die Masse in Lochformen und pressen möglichst viel Flüssigkeit heraus, decken diese ab und beschweren mit einem Gewicht, genauer: mit einem wassergefüllten Schraubglas. Noch sieht der Topf mit Milch aus wie ein Topf mit Milch. Erneut erhitzen wir bis fast zum Siedepunkt. Nun trennen sich feine weiße Flocken und gelbliche Flüssigkeit, die Molke. Topf runter. Sofort. „Haha, oho, hmmm, . . . „, immer wieder staunende Ausrufe der Frauen. Ob sie sich bei aller Verwunderung das Momentum der Produktionsstadien gemerkt haben, werden wir morgen sehen. Aber im Moment lassen wir den abgedeckten Topf stehen und wenden uns wieder den ersten Formen zu. Die Masse ist etwas abgekühlt, ich knete und presse mit beiden Händen weitere Flüssigkeit heraus, bis ich eine feste Käsekugel in der Hand halte. Desgleichen mit der zweiten Form. Die beiden Kugeln dürfen jetzt in einer konzentrierten Salzlösung schwimmen.
Zurück zum Topf. Vorsichtig verschöpfen wir die feinen Käseflocken in mit Baumwolltuch ausgelegte Siebe. Die abgegossene Flüssigkeit tropft langsam ab, wir fangen sie auf, später werden sich Schafe und Ziegen darüber hermachen. Die Molke ist sehr nahrhaft für die Tiere, ein willkommener Nebeneffekt. Da die feinen Flocken das Gewebe immer wieder zusetzen, muss das Tuch mehrmals mit einem Spatel abgestrichen werden. Über mehrere Stunden hinweg ergibt sich so eine feine, cremige Konsistenz. Dieser doch langsame Prozess ist wichtig für feinen Käsegenuss. Doch noch sind wir nicht fertig. Wir gießen die Käsecreme in eine Schüssel und rühren etwas Salz ein. Dann werden sechs Käseformen, mit nassen Tüchern ausgekleidet, damit befüllt. Mit einem Zipfel der Tücher bedeckt, kommen die Wassergläser wieder beschwerend zum Einsatz. Es braucht weitere eineinhalb Stunden, unterbrochen von zweimaligem Durchrühren, bis genügend Flüssigkeit abgetropft ist, um die Formen zu einem Kühlschrank zu transportieren.
Ich bekräftige, dass die Frauen morgen von Beobachterinnen zu Akteurinnen werden sollen.
Viele Stunden liege ich wach, in meinem Kopf toben die Eindrücke. Werden die Frauen das alleine hinkriegen? Wird überhaupt jemand unseren Käse haben wollen? Produktion und Marketing wird komplementär laufen müssen. Mir wird schwindlig: Was mache ich eigentlich hier?
Am folgenden Tag haben die Frauen bereits alles bereitgestellt. Ich deklariere mich zum Zuschauer und werde nur eingreifen wenn sie fragen. Natürlich fragen sie noch nach um sich zu vergewissern, vor allem nach dem richtigen Zeitpunkt zum Einrühren und jeweiligem Verschöpfen der gebildeten Masse. Aber alles in allem ein vielversprechender Anfang. Vornehmlich erkläre ich heute, was sich bei den einzelnen Prozessen abspielt, warum diese nicht zu beschleunigen sind, und wie wichtig Qualität ist. Unter dem Label „Produce of Upper Baddibou“ müssen sie standardisierte Perfektion bieten. Eine Beschwerde, und ein Kunde mag verloren sein.
Während des gesamten Tages fand wenige Meter entfernt eine Hochzeitszeremonie statt. Beachtlich, daß meine 12 ausgewählten Käsemacherinnen uneingeschränkte Aufmerksamkeit zeigten. Als ich am frühen Abend noch im von unserer Stiftung Sabab Lou angelegten Gartenareal Kräuter einsäe, wuseln nahezu 100 Frauen, Jugendliche und Kinder in vollem Hochzeitsstaat zwischen den Beeten herum. Einfach großartig. Und so wie es aussieht, scheint ihr Einsatz mit einer prächtigen Ernte belohnt zu werden. Chapeaux!
Für den nächsten Tag bestelle ich vier Frauen, Buja, Siri, Fatou und Khaddy, ins Büro unserer Organisation RDO (= Rural Development Organization), wo auch der Kühlschrank steht. Nachdem dieser wegen zu hoher Wattzahl in Dutabullu nicht an die Solarpanele angeschlossen werden konnte, hatte ich ihn selbst per Eselskarren ins Büro transportiert. Ein lustiges Bild.
Wir entnehmen den noch eingewickelten Käse und rühren ihn durch. Er hat eine schöne, sämige Konsistenz. Bravo! Noch etwas Salz, dann präparieren wir drei Geschmacksrichtungen: Frischkäse natur, Frischkäse mit schwarzem Pfeffer und Knoblauch, und Frischkäse mit Schnittlauch. Unser Mozarella wird nur nochmal mit Salz eingerieben. Fertig.
Ich bedanke mich aufs herzlichste bei den Frauen, heute Nachmittag haben sie frei. Morgen und übermorgen werde ich sie vollkommen alleine arbeiten lassen, nur so kann ich ihre Eigenständigkeit testen. In zwei Tagen werde ich die Resultate prüfen.
An diesem Abend werde ich meinen ersten Marketing-Versuch starten, dachte ich doch in meiner schlaflosen Nacht, dass dies essentiell für das weitere Verfahren ist. Langsam wird´s aufregend.
Aber noch liegt Arbeit vor mir. Im Nachbardorf, in Chamen, will ich Marmelade und Chutney machen, für ein Gleichmaß an Einkommensmöglichkeiten für die partizipierenden Dörfer.
Mit Marmelade kenne ich mich ja aus, das Chutney entwickelt sich eher spontan. Tomaten, Zwiebeln, Aubergine, Knoblauch, rote Pfefferschoten, klar, gehört rein. Zerstoßene Senfkörner könnten passen, Ingwer wäre auch nicht schlecht, aber erst die grünen Mangos geben der Sauce eine dezent fruchtige Note. Bitte noch etwas mehr Feuerholz, damit alles gut einkochen kann. Es schmeckt so überraschend gut, daß sie jubelnd eine Polonaise um den Kochtopf tanzen. Gläser befüllt, der Rest ist für die Köche.
Die Anspannung steigt. In meiner Unterkunft richte ich einen Teller mit Tomaten und dem Mozarella-Käse, einen weiteren mit unseren Frischkäsevariationen. Ich hatte ein kleines Label entworfen unter dem wir unsere Produkte vorstellen und vermarkten wollen:
„Produce of Upper Baddibou“
organically grown and produced
by women and youths of Rural
Development Organization (RDO)
with German supervision.
Keep cool. Consume before ____
Ich betrete Eddy´s Restaurant, das einzige Restaurant in Farafenni, und lade die Inhaber zur Käseprobe ein. „Cheese – made in The Gambia?“, sie mögen es kaum glauben. Mit jedem Bissen ernte ich zustimmendes Nicken, während ich unser Anliegen vortrage: Einkommensgenerierung für die arme Dorfbevölkerung. „Wie viel können wir kaufen?“ Das kann doch nicht wahr sein! Und doch. Aufgeregt eile ich in meinen Raum, sichere noch je ein Muster für die Marketing-Offensive in Banjul und verkaufe auf der Stelle 12 Portionen Käse. Und sie bestellen mehr. Und da gibt es noch den Freund, der auch . . . Mir verschlägt es die Sprache, nicht im Traum hätte ich das erwartet. Unserem gerade eintreffenden Projektleiter Malang drücke ich unter ungläubigem Staunen die 480 gambische Dalasi in die Hand, er möge morgen doch die Dalasi an die Frauen auszahlen. Diese treten morgen ihren ersten Alleingang an, während ich mich mit Sammeltaxi, Fähre und Bus auf den Weg nach Banjul mache. Prompt ein telefonischer Hilfeschrei, es ist nur Mozarella rausgekommen. Entmutigt wollen sie auf meine Rückkehr warten. Ein schneller Gedankengang, nein, sie sollen am nächsten Tag weitermachen, sie werden das schaffen.
Nach schweißtreibender 6-stündiger Fahrt, erbitte ich von Nurudeen als erstes seinen Computer um eine aufmunternde Mail abzusetzen mit einer exakten Problembeschreibung. Wie sich später bestätigte, hatten die Frauen den Zeitpunkt verpasst und die Milch überhitzt. Kein Grund für verzagtes Warten. Weitermachen.
Wieder richte ich meine Käseverkostung und avisiere Leybato´s Restaurant. Nurudeen, unser Projektkoordinator übernimmt charmant und offensiv die Einladung zur Probe. Genial, wie er den Gästen den Käse schmackhaft macht. „Cheese – made in The Gambia?“ Ja. „Ich heirate kommenden Sonntag, kann ich für 1500 Dalasi Käse und das Chutney von euch kaufen?“ Jetzt gerate ich ins Stottern, „eh . . . ja . . . wir haben gerade erst . . . eh . . . wir werden versuchen . . . “ Also, wir werden versuchen das hinzukriegen. Punkt. „Und fürs Restaurant möchte ich bestellen: . . . “ Halt. Ich erkläre unsere begrenzte Anfangskapazität und versichere eine schnelle Folgeproduktion. Hoffentlich hat meine deklarierte Zuversicht mein ängstliches Bangen kaschiert. Wahnsinn, was hier gerade passiert. Jetzt darf nicht mehr viel schiefgehen.
Am Abend fliegen Frieder und Götz mit `GambiaBird´ aus Ghana ein, ich fliege auch. Auf einer Welle völlig überraschenden Erfolges. Die bestätigende Zuversicht von Frieder und Götz tut gut, besänftigt aber nicht die nächtliche Aufregung. Erst nach dem Anruf „heute hat´s geklappt!“, sinke ich auf der Rückfahrt in den Upper Baddibou Distrikt in den Autositz. Bis ein Reifen platzt. Genug gesunken, eine Stunde glühendes Warten auf den Reifenwechsel. Macht nichts, Fehlschläge in der Produktion wären momentan viel schlimmer. Es würde die Hoffnungen vieler armer Frauen zerstören.
Im Büro unserer NGO, der `Rural Development Organization´(RDO), stimmen wir zunächst den zweitägigen Aufenthalt ab. Nicht nur müssen die Auftragsproduktionen eingeleitet werden, es erfordert wichtige Besprechungen mit den Dörfern, Klärung veränderter personeller Anforderungen, Budgetierung von Maßnahmen und Übersicht der finanziellen Situation der Projekte. Alles unter dem Thema Nachhaltigkeit. Von Anfang an soll jede Maßnahme auf Eigenständigkeit und Nachhaltigkeit ausgelegt sein. Deshalb muss nicht nur die Solaranlage in einigen Jahren refinanzierbar sein, sondern beispielsweise auch eine Käseproduktion Rücklagen für weitere Investitionen bilden. Und es kann ebenso nicht planlos Gemüse angebaut werden, ohne Überlegungen zu Lagerung, Vermarktung und Verarbeitung. Deshalb nehmen wir mittels der RDO die Dorfbewohner in die Pflicht und in die Verantwortung. Sie haben ein Vehikel bereitgestellt bekommen, fahren müssen sie es selber. Wir helfen ihnen, es auch in vielen Jahren noch manövrieren zu können. Mehr noch, wir werden helfen, die Produktivität beständig zu erhöhen und die Einkommensgenerierung zu steigern. Das verstehen wir unter Entwicklungszusammenarbeit. Das mit den Geschenken, die besser nicht gegeben wären, hatten wir ja ausreichend thematisiert.
Jeden Abend fallen wir erschöpft und dennoch schlaflos in die Nacht, dankbar, so ein tolles Team zu haben, glücklich über den enormen Einsatz der Dorfbewohner, erfreut über die erreichten Fortschritte. Personelle Struktur und Planung müssen weiter verbessert werden, weitere Maßnahmen Richtung ´food processing´ müssen eingeleitet werden. Ohne die Kenntnisse und Unterstützung unseres Freundes und Partners Götz wären wir nicht so weit, könnten wir nicht so präzise und planvoll fortschreiten. Ein großartiger Mitstreiter und Freund.
Für mein Käseteam kommt jetzt die Phase der Konsolidierung des Erreichten durch weitere Vermarktung und entsprechende Produktionssteigerung bei kompromisslosem Qualitätsstandard. Desgleichen gilt für mein Delikatessenteam. Für mich heißt es standardisierte Arbeitsabläufe festzulegen, Produktionsbedingungen zu verbessern, zu planen, zu kalkulieren, zu begleiten. Konzeptionell wie praktisch. Angefangen von einem Arbeitswochenplan, Verpackungen, Verbraucherhinweise und natürlich weiteren Rezepten. Auch will ich mit Nurudeen und Götz einen Projektvorschlag ausarbeiten, den wir bis Ende des Jahres einem Revisionsausschuss der Regierung vorlegen wollen. Dort werden die Vorschläge für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Einkommensgenerierung und Frauenförderung vorgelegt und verabschiedet, da wollen wir dabei sein.
„Cheese – made in the Gambia?“
YES.
„MADE IN THE GAMBIA“
Whow, Edith, super. So einfach lernen die Frauen Käsemachen. Haben sie weiter produziert und verkaufen weiterhin? Oder fehlt die überwachende Hand.
Ich bin ganz begeistert!
Liebe Grüße
Heike