Die Romantik der Armut

Es sind Bilder wie aus einem Sehnsuchtstraum. Dabei geht es uns darum, den harten Alltag der Frauen in Chere, Ghana, nachzuvollziehen – und der ist alles andere als romantisch.

Im Morgengrauen treffen wir ein. Die Sonne geht hinter den runden Lehmhütten auf, Esel lugen heraus und begrüßen uns mit typisch blökendem Geschrei, Kinder suchen sich ihre Wurzelkuhle am riesigen Baobab Baum. 

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Wir freuen uns über die idyllische Kulisse und die blökenden Esel. Da fällt einem fast der Spruch ein: „arm, aber glücklich“. HALT STOP! Wir müssen aufpassen, dass wir uns durch die schönen Bilder nicht blenden lassen. Zu oft neigen wir dazu, Armut zu romantisieren. Dabei war unser Anliegen doch, den harten Alltag der Frauen nachzuvollziehen, und der ist alles andere als romantisch.

Dann kommen auch schon die strahlende Tietie und zwei Nachbarinnen mit Kanistern und immens großen Schüsseln auf uns zu. „Könnt ihr auch Wasser tragen?“ „Na klar!“, entgegne ich, allerdings etwas zu voreilig.

Die drei Frauen legen ein unglaubliches Tempo vor, wir kommen kaum mit, dabei wollten wir doch fotografieren und filmen. Aber hier gilt kein Drehbuch, hier wird gearbeitet, und Zeit ist kostbar.

Nach 40 Minuten sind wir atemlos am jährlich schrumpfenden Staubecken angekommen. Friedliches Morgenlicht, Frauen in bunten Kleidern tragen aufrechten Ganges die schweren Wasserbehälter aus dem Pond. Wir schämen uns der idyllischen Betrachtung.

Frauen holen Wasser in einem See.

Nach der Regenzeit ist der See noch gut gefüllt, das Wasser wirkt fast sauber. Doch in den kommenden Monaten wird der Teich immer weiter austrocknen.

Tietie wuchtet den kleineren Eimer auf meinen Kopf, ich versuche mich zu zentrieren, und doch laufe ich wie unter einer Sprinkleranlage. Sie lachen und gießen sicherheitshalber einen Liter Wasser ab.

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Wir tauchen ein in einen Ausschnitt ihres Lebens – vielstündiges Herbeischleppen trüben Wassers zur Versorgung von Familie und Haushalt. Das bewegende für uns sind dennoch nicht die malerischen Bilder – es ist die Bewunderung für die Stärke der Frauen. Das gemeinsame Handeln und Erleben löst die voyeuristische Perspektive auf. Ein Zeitausschnitt der Unterschiedslosigkeit wird zu einer befreienden Erfahrung. Hier gibt es nicht mehr weiß und schwarz, reich und arm, unwissend und wissend.
Mit ihnen sein.
Hört sich an wie ein romantisches Erlebnis?

„Könnt ihr uns helfen, dass wir sauberes Wasser bekommen?“, so die wiederholte bittende Anfrage von Tietie. „Es waren schon einige hier, aber nie kam auch nur Irgendjemand wieder“.

Völlig erschöpft komme auch ich endlich in Tieties Compound an und gieße das schmutzige Wasser in eine große Tonne. Von schweißtreibender Sonne völlig durchnässt eilen wir zum nächsten Punkt unserer Reiseagenda, während die Frauen nochmal und nochmal und nochmal Wasser holen werden.

Das ist nicht mehr romantisch – das ist tägliche, lebenslange Not!

Zwei Eimer mit schlammigen Trinkwasser.

Alles andere als romantisch. In der Trockenzeit gleicht das Wasser eher einer dreckigen Brühe. Eine echte Gefahr für die Gesundheit.

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