G20 Gipfel: Realitätscheck „Compact with Africa“

Deutschland schlägt für den G20-Gipfel das Wirtschaftsförderprogramm Compact with Africa vor. Hilft das Programm wirklich Armut zu reduzieren? Den ländlichen Raum zu stärken? Fehlanzeige. 

 Afrika erobern?

Können sich deutsche und EU-Politiker vorstellen, was es bedeutet, wenn eine holländische Zwiebelfabrik massenweise Zwiebeln nach Gambia liefert und dort eine aufstrebende Kooperative aus vier Savannendörfern einfach mal kurz plattmacht? Die Frauen der Kooperative hatten eine Lieferung von zwei Tonnen Zwiebeln mit den Hotels der Küstenregion vereinbart. Die Dumpingpreise der Importeure lagen 30 Prozent unter den Preisen der Frauen. Sinnigerweise lautet ein Statement auf der Website des holländischen Produzenten: an onion that‘s conquering the world. Wohl wahr. Die verheerenden Nebenwirkungen solcher Eroberungen bleiben natürlich unerwähnt.

Noch ein Förderprogramm?

Deutschland schlägt für den G20-Gipfel das Wirtschaftsförderprogramm Compact with Africa vor. Zusammen mit interessierten afrikanischen Staaten und internationalen Finanzinstituten sollen geeignete Rahmenbedingungen für private Investitionen geschaffen werden. Aber, gibt es nicht schon genug solcher Programme?

Allein innerhalb der Bundesregierung sind es derzeit vier: Die Bundeswirtschaftsministerin stellt mit Pro Afrika Programme zur Wirtschaftsförderung vor, der Außenminister präsentiert mit seinen Afrikapolitischen Leitlinien die Instrumente seiner Afrika-Politik, seit geraumer Zeit trommelt der Entwicklungsminister für seinen Marshall-Plan für Afrika. Nun drängt sich der Finanzminister vor dem G20-Gipfel mit Compact with Africa in den Vordergrund. Auf EU-Ebene harrt das Wirtschaftsund Handelsabkommen Economic Partnership Agreement EPA mit den 16 Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft seit Jahren der Umsetzung. Schließlich laufen auch bei den internationalen Finanzinstituten noch unzählige ähnlicher Förderprogramme mit immensen Etats. Eine Vorstellung davon liefern etwa die von der African Development Bank finanzierten Projekte New Deal on Energy for Africa, Feed Africa Initiative, Industrialize Africa und Jobs for Youth in Africa. Gesamtetat der über 10 Jahre laufenden Projekte: 112 Milliarden USD.

Realitätscheck

Machen wir den Realitätscheck und fragen, braucht es noch ein weiteres Programm wie Compact with Africa? Hilft das Programm realiter einige der größten Probleme zu
lösen, nämlich:
● Armut zu reduzieren?
● den ländlichen Raum zu stärken?
● die Landwirtschaft zu fördern?
● die Jugendarbeitslosigkeit zurückzudrängen?

Armut reduzieren?

Fehlanzeige. Mit den sieben Länderpartnerschaften von Compact with Africa werden nicht die ärmsten Länder unterhalb der Sahara, sondern bereits aufstrebende und teilweise weit fortgeschrittene Staaten angesprochen.

Den ländlichen Raum stärken?

Fehlanzeige. Fabriken werden vorwiegend in urbanen Räumen gebaut, nicht auf dem Land und schon gar nicht in der Savanne. Aber 62 Prozent der Gesamtbevölkerung Subsahara-Afrikas, rund 620 Millionen Menschen leben auch heute noch im ländlichen Raum, und davon 400 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze mit einem Tageseinkommen von weniger als 1,90 USD. Diese Armen erreicht Compact with Africa nicht.

Die Landwirtschaft fördern?

Fehlanzeige. In den ländlichen Gegenden Subsahara-Afrikas bietet einzig und allein die Landwirtschaft Arbeitsplätze. Dadurch, dass Compact with Africa den ländlichen Raum vernachlässigt, wird auch die Landwirtschaft als wichtige Triebkraft im Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit vernachlässigt.

Jugendarbeitslosigkeit zurückdrängen?

Fehlanzeige. Rund 60 Prozent der in Subsahara-Afrika lebenden Menschen sind jünger als 25. Das sind 600 Millionen von insgesamt 1 Milliarde Menschen. Schon 2030 werden es 400 Millionen Menschen mehr sein, die meisten davon Jugendliche. Zwischen 2015 und 2030 rechnet die African Development Bank mit 370 Millionen Zugängen zum Arbeitsmarkt. Speziell für diese Zielgruppe müssten zunächst Bildungs- und Ausbildungsprogramme angeboten werden, um ihr einen qualifizierten Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Diese Maßnahmen müssten vorrangig implementiert werden, erst dann macht es für Privatunternehmen Sinn, zu investieren.

Compact with Africa: Die Armen und Sprachlosen werden überhört ©Sabab Lou

Fazit

Die wirklich armen Länder werden nicht berücksichtigt, der ländliche Raum und die Landwirtschaft mit ihrem riesigen Entwicklungspotential werden nicht hinreichend gefördert, auch werden keine Ausbildungs- und Entwicklungsprogramme für die rasant wachsenden jugendlichen Altersgruppen vorgesehen. Wenn es schließlich um die Eindämmung der Flüchtlingsströme gehen sollte, wird Compact with Africa auch hier seine Wirkung verfehlen.

Mal wieder zu kurz gesprungen. Wie die vielen anderen Programme wird auch dieses nicht mitten in Afrika in den Dörfern ankommen. Wie war das noch mal mit den holländischen Zwiebeln, die die Welt erobern? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es gar nicht um die armen Dörfer mitten in Afrika geht. Denn sonst würden die Politiker zunächst vor der eigenen Haustüre kehren und ihre Agrar- und Handelspolitik revidieren. Indem man die vorherrschenden kleinbäuerlichen Strukturen der afrikanischen Agrarwirtschaft mit Billigimporten niederwalzt und große Industrieanlagen ausländischer Investoren in Ballungszentren hinstellt, ist nichts gewonnen, aber viel verloren. Afrika hilft man so nicht.

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